Wie wir sind

Dies ist eine deutlich erweiterte und auch weitaus polemischere Fassung der Kolumne in der Freien Presse.

 

 

 

Im Zentrum einer philosophischen Exegese des menschlichen Seins könnte man einen turmhohen Stapel an Einsichten und Wahrheiten abstellen, der dort als ewige Wiederkehr der gleichen Antworten folgenlos vergammelt. Läßt man die zwar existentielle, gleichwohl ermüdend spekulative Frage nach dem "Woher kommen wir und wohin gehen wir?" beiseite, bäumt sich vor uns der furchterregende Komplex (im doppelten Sinn des Wortes) des "Menschlichen, Allzumenschlichen" (Nietzsche) auf. Was also hält das Innerste des Menschen zusammen, wenn wir seine konstanten, sichtbar ausgelebten Charaktereigenschaften hervorkramen möchten? Welche sind unsere vornehmlichsten, nicht unbedingt vornehmsten Charaktereigenschaften?

 

Ich achte zutiefst den Menschen, aber die Leute sind mir ein Graus, zumindest im Alltag. Denn weit unten in dessen gefährlichen Schlünden öffnen sich zahlreiche brandgefährliche Abgründe, auf die man sich nur mit gehöriger Skepsis, Willensstärke und einem unerschütterlichen Überlebenswillen einlassen sollte. Manchmal lässt sich der Mensch wunderbar vergleichen mit Tieren, z.B. einem Fisch: "Der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf her." Oder denken Sie z.B. an das gemeine Trumpeltier mit Haaren so gelblich gefärbt wie die Zähne von Gelbzahnmeerschweinchens. Oder an andere, bei Rechtpopulisten besonders "hippen" (weil autokratischen) Staatenlenker mit schütterem Haupthaar, oder schütteln Sie den Kopf über jenen fernöstlichen Zwerggorilla mit schwarz hochdüpierter Prunkfriseur. Von allen Diktatoren radikal praktiziert, bläht sich hier das Allzumenschliche in der unangenehmsten Spielart ins Monströse auf.

 

Ich fühle mich an den programmatischen Titel eines Romans von Jane Austen erinnert: "Stolz und Vorurteil". In der deutschen Sprichwörtervariante: "Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz." Allerdings fehlen in diesem Eigenschaftsensemble noch ein paar Ingredienzien charakterlicher Indisponiertheit: z.B. Ignoranz und Eitelkeit, Rücksichtslosigkeit und Ungerechtigkeit. Häufig in Tateinheit mit lustvoll gelebter Gedankenarmut. Mentaler Stillstand führt eben zwangsläufig in den zerebralen Leerstand, befördert umfassende Unfähigkeit und einen veritablen Verlust von Selbstkontrolle. Selbstüberschätzung und mangelnde Empathie, so schnell kann man Karriere machen als Soziopath und Narzisst. Abgestraft werden die Netten, Harmlosen, Friedfertigen. Auch wenn charakterliche Durchfälle immer schon zivilisatorische Errungenschaften waren, heute sind sie definitiv auch politische, auf jeden Fall aber kulturelle Phänomene. Allemal bleiben Inkompetenz und Hybris ungünstige Dreingaben, wenn man zum pathologischen Profilneurotiker gereift ist, wenn man mit dem Finger am Atomknopf eine Regierung anführt, die weltweit Nummer 1 sein will oder wenn ein aufgedunsener, von Paranoia zerfressener Killer als "Dr. Kim Seltsam, der die Bombe liebte", einfach nur radikal, vielleicht final stören will.

 

Auch eine Firma, ganze Branchen, Autokonzerne kann man durch das verdorbene Allzumenschliche auf stinkendes Fischkopfniveau durchreichen oder Verbände wie den ADAC, auch einen Verein, wie vielleicht den FC Bayern. Nichts und niemand ist vor der Pestilenz der Fischkopf-Denker sicher, denen recht besehen das Hirn zügig verdirbt. Korrupt und korrumpierbar, ohne Unrechtsbewußtsein, dafür mit Minderwertigkeitskomplexen ausgestattet, mit denen sie auf jeden ein prügeln, der es wagt ihre paranoiden Selbstbespiegelungen einzutrüben.

 

All diese psychischen oder charakterlichen Deformationen lustwandeln wie im Weltmaßstab, genauso unverschämt ausgeklügelt auch im kleinkarierten Geviert weltweiter Einöden. Oder ein paar Nummern kleiner in jeder verfügbaren Provinz, so wie zu beobachten in den sächsischen Hinterlanden. Nicht nur in der Politik und im Sport, auch auf der Kunst- und Kulturebene in nahezu jedem Ort der aller Landkarten gibt es diese Fischköpfe, die sich selbst nicht riechen können, allen anderen Beteiligten aber das Riechorgan rot anlaufen lassen. Also: Manchmal läuft es gar nicht rund für die Kulturträger auf lokaler Ebene. Zampanos des rein lokalen Hobbyklüngels greifen schon mal in kulturelle Fettnäpfe, wenn sie ambitioniert frohlocken, die kulturelle Tür respektive Welt aus den Angeln heben zu können. Sie werden dabei durch ihre eigene Selbstüberschätzung oder ihr durch kein Hinzulernen getrübtes Unvermögen für immer und ewig gehindert an qualitativen Klein- oder Großtaten. Echte Kulturarbeit setzt Wissen und Erfahrung voraus.

 

Wieder und wieder steht ein lokaler Kunstverein in Zwickau exemplarisch für das Versagen des Spitzenkaders im Hobbykünstlerfreizeitheim in der Domhofgalerie. Da muß dann seitens der lokalen Staatsmacht dem hiesigen Fischkopferten eben auch mal (erneut) gehörig auf die Finger oder Gräten geklopft werden, nachdem dieser wieder schieren Unsinn ausgebrütet hat. Beispielsweise, wenn er sich regelmäßig (alle 6 Jahre) derbe verhaut, beim mühseligen Versuch, einen Max-Pechstein-Ehrenpreiskandidaten zu empfehlen, den – avanti dilettanti  - der irrlichternde Feierabend-Kunstfunktionär pro forma vorschlagen darf. Aber er bekommt einen soliden Vorschlag einfach nicht gebacken. Aufgrund seiner rein örtlich fundierten Kunsterfahrung, die nicht wirklich in Frage gestellt werden soll, will das einfach nicht klappen – das Wohl der Künstler leidet. Und er muß wie auch in diesem Jahr peinlich nachbessern. Daß man es hier mit richtigen "Dilettanten" (Arno Rink, 2005), allerdings auch nur einem "harmlosen Spießer" (Klaus Staeck, 2011) zu tun, offenbart das tiefe, aber auch schonungslose Verständnis der beiden ehemaligen Ehrenpreisträger für das Allzumenschliche. Und deshalb lassen wir's gut sein …

 

Hartwig Eberbach ist der der denkbar verdiente und lang ersehnte Träger des Ehrenpreises 2017. Der renommierte Maler Hartwig Ebersbach (geb. 1940) ist der denkbar verdiente und lang ersehnte Träger 2017. Mit ihm wird ein überlegender und überlegener "Wilder" geehrt – er ist ein Großer der deutschen Gegenwartsmalerei.

 

Am 10. November kommt der geborene Zwickauer in die Kunstsammlungen. Und wir wissen, wohin wir gehen. Ein anderer könnte auch gehen – doch wohin?

 

 

 

Hartwig Ebersbach

Wolfram Ebersbach